Beschädigtes Kabel in der Ostsee: „Dutzende Kilometer lang“ – enorme Schleifmarke
Könnte der Kabeldefekt in der Ostsee das Werk von Saboteuren sein? Ein Frachtschiff wird seit Tagen von finnischen Untersuchern festgehalten. Es könnte Teil der russischen Schattenflotte sein.
Update vom 31. Dezember, 19.50 Uhr: Die finnische Polizei hat Untersuchungen gegen sieben Seeleute des in Russland abgelegten Tankers „Eagle S“ eingeleitet, nachdem ein Unterwasserkabel in der Ostsee mutmaßlich sabotiert wurde. Die betroffenen Personen sind als Verdächtige eingestuft und mit einem Reiseverbot belegt, so die Ermittler am Dienstag, wie die Nachrichtenagentur dpa berichtete.
Sabotage an Ostsee-Kabel: Finnland ermittelt gegen sieben Matrosen
Ein Schaden am Stromkabel Estlink 2, das Finnland und Estland verbindet, wurde am ersten Weihnachtstag festgestellt. Die finnischen Behörden gehen davon aus, dass der Anker des aus St. Petersburg, Russland, kommenden Öltankers „Eagle S“ das auf dem Ostseeboden liegende Kabel beschädigt hat. Daraufhin wurde der Tanker von Finnland gestoppt, in finnische Gewässer geleitet und beschlagnahmt. Am Montag entdeckten die Ermittler eine Schleifspur, die sich über Dutzende von Kilometern am Meeresboden erstreckt. Am Dienstag wurden erste Bilder von den Ergebnissen veröffentlicht.
Nach Ansicht der finnischen Zollbehörde gehört das Schiff zur sogenannten russischen Schattenflotte. Diese wird von Russland genutzt, um das vor zwei Jahren im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg verhängte Öl-Embargo zu umgehen. Russland setzt dabei auf unter fremder Flagge segelnde Tanker, um trotz internationaler Sanktionen Rohöl und Ölprodukte zu exportieren.
Wegen Sanktionen infolge des Ukraine-Kriegs: Putin setzt auf seine „Schattenflotte“
Erstmeldung: Helsinki/Moskau – Hat der Öltanker „Eagle S“ ein Stromkabel in der Ostsee mit seinem Anker beschädigt? Und womöglich absichtlich? Seit Tagen halten finnische Ermittler das Schiff fest, um die Fragen zu klären. Inzwischen haben sie am Meeresboden eine verdächtige Schleifspur entdeckt. „Die Spur ist Dutzende Kilometer lang“, sagte der zuständige Ermittler Sami Paila.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock spricht von einem dringenden Weckruf und von der Notwendigkeit, kritische Infrastruktur noch stärker zu schützen. Das Schiff gehört der EU zufolge zur sogenannten russischen Schattenflotte.
Gemeint sind Tanker und andere Frachtschiffe, die Russland benutzt, um Sanktionen infolge des Ukraine-Kriegs zu umgehen, etwa beim Öltransport. Moskau wird seit langem vorgeworfen, beim Transport und der Verschleierung seiner Exporte auf Schiffe zu setzen, die undurchsichtige Eigentümerstrukturen aufweisen und oft die Flagge wechseln, unter der sie fahren. Dazu würden Länder mit Gesetzen genutzt, die deutlich laxer seien als die im Westen. Es handelt sich um Schiffe, die nicht in der Hand westlicher Reedereien oder von westlichen Versicherungen versichert worden sind.
Experten in Moskau weisen darauf hin, dass der Begriff „Schattenflotte“ ein westlicher sei, weil der Westen von seiner eigenen Rechtsprechung ausgehe und nicht immer der des Flaggenstaates. Einer Analyse der School of Economics in Kiew zufolge sollen Hunderte solcher Schiffe im Einsatz sein. Die „Schattenflotte“ ist aber kein Novum, sondern schon lange durch andere vom Westen mit Sanktionen belegte Länder bekannt, darunter Venezuela oder Iran.
Mit den Schiffen finanziere Russland seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Ukraine, kritisierte Baerbock in den Funke-Medien. Sie seien eine große Gefahr für die Sicherheit und die Umwelt. Auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace warnt, die Tanker seien veraltet, viele wiesen technische Mängel auf und bedrohten die Umwelt.
Experten fragen sich, ob der Fall in der Ostsee Sabotage war. Das ist bisher unklar. Die Ermittler fanden aber am Meeresboden eine kilometerlange Schleifspur, wie sie am Sonntagabend (29. Dezember) mitteilten. Sie hatten das Schiff an Weihnachten geentert. Zum Zeitpunkt der Störung passierte es die Leitung Estlink 2 zwischen Finnland und Estland. Auch an Datenkabeln traten Probleme auf. Die „Eagle S“ ist unter der Flagge der Cookinseln unterwegs und wurde mittlerweile an einen Ankerplatz östlich von Helsinki verlegt.
Westliche Sanktionen werden nicht streng überwacht: Kreml schweigt zu Vorwürfen
Dass russische Energieunternehmen eine Schattenflotte nutzen, um etwa Öl auf den Weltmarkt zu bringen, ist auch in russischen Medien ein Thema. Offiziell äußert sich das Land aber nicht zu den Vorwürfen. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte nur, dass das Thema nicht zu den Zuständigkeiten der Präsidialverwaltung gehöre. Klar ist aber, dass Russland wegen verschiedener Embargos immer wieder Wege suchte, seine Waren trotz westlicher Strafmaßnahmen zu verschiffen.
Immer wieder verwies der Kreml darauf, dass es für russische Reedereien schwer sei, etwa Versicherungen für Schiffstransporte zu finden. Auch deshalb dürfte die Schattenflotte mit undurchsichtigen Eigentumsverhältnissen bei alten Frachtern ein Weg sein, den Moskau zunehmend nutzt. Dabei verlässt sich die Rohstoffgroßmacht auch darauf, dass Sanktionen nicht allzu streng überwacht werden. Niemand habe ein Interesse, dass durch ein Fehlen des Öls aus Russland, das zu den größten Exporteuren gehört, die Preise in die Höhe schnellen, meinen Analysten in Moskau.
Ermittler halten sich bisher bedeckt: Nato will Präsenz in der Ostsee verstärken
Zuletzt erschwerte schlechtes Wetter die Untersuchungen am Meeresgrund. Die Polizei befragte parallel die Crewmitglieder, hält sich aber eher bedeckt. Die Ermittler äußerten sich weder zu einem Bericht des Branchendiensts „Lloyd‘s List“, an Bord sei Spionagezubehör gefunden worden, noch zur Vermutung der Zeitung Helsingin Sanomat, das Schiff hätte womöglich auch die andere Stromleitung Estlink1 und die Gaspipeline Balticconnector beschädigen können, die schon 2023 – höchstwahrscheinlich vom Anker eines chinesischen Containerschiffs – gekappt worden war.
Das Militärbündnis Nato kündigte eine stärkere Präsenz in der Ostsee an. Estland will die Stromleitung Estlink 1 mit Patrouillenschiffen überwachen, auch die schwedische Küstenwache nimmt den Schiffsverkehr stärker in den Blick. Die EU hatte kürzlich erneut Sanktionen angekündigt und 52 weiteren Schiffen verboten, in Häfen in der EU anzulegen. Angesichts Hunderter solcher Tanker lächelt Moskau die Initiative weg – wie andere Sanktionen auch.
Baerbock zur Bedrohungslage: Schiffe beschädigen im Monatsrhythmus Kabel in der Ostsee
In letzter Zeit traten wiederholt Schäden an der Infrastruktur unter Wasser auf. Fast im Monatsrhythmus beschädigten Schiffe wichtige Kabel in der Ostsee, sagte Baerbock den Funke-Medien. Die Besatzungen würden Anker zu Wasser lassen, über den Meeresboden ziehen und beim Hochziehen verlieren. Es falle ihr mehr als schwer, da noch an Zufälle zu glauben.
Russland wiederum erinnert stets aufs Neue an die Sprengung seiner nach Deutschland verlegten Ostseepipelines Nord Stream 1 und 2. Moskau beklagt, dass der „Terroranschlag“ vom September 2022 noch immer nicht aufgeklärt sei – und nicht zuletzt die Bundesregierung daran kein Interesse erkennen lasse.
Angriffe in Form von Sabotage, Mordkomplotten oder Beschädigung von Infrastruktur hätten zugenommen, sagte James Appathurai, der bei der Nato unter anderem für Strategien zur Abwehr hybrider Angriffe zuständig ist und auch den Generalsekretär berät, dem Sender Sky News. Auf eine Frage zur Kriegsgefahr zwischen der Nato und Russland sagte er: „Es besteht die reale Aussicht, dass einer dieser Angriffe eine beträchtliche Zahl von Opfern oder erheblichen wirtschaftlichen Schaden verursachen wird.“ Darauf müsse die Nato vorbereitet sein, um zu wissen, was dann zu tun sei. (bg/dpa)