„Wir sind dazu verdammt, unsere Gefühle nicht zu zeigen“
Ein zerstörerischer Krieg auf der einen, ein pulsierendes Nachtleben auf der anderen Seite: Der Libanon ist ein Land voller Widersprüche. Die ehemalige „Tagesthemen“-Moderatorin Aline Abboud will in einem Buch über ihre zweite Heimat einen anderen Blick auf die Geschichte des Landes ermöglichen.
Frau Abboud, auf der Rückseite des vorderen Buchdeckels sieht man Sie von der Seite, wie Sie auf den Libanon blicken. Auf was für ein Land schauen Sie?
Ich schaue auf ein Land, das mich immens geprägt hat als Kind, als Jugendliche und als Mensch, der ich heute bin. Der Libanon ist ein Land, das gebeutelt ist von Krieg und Krisen, aber trotz alledem seine lebensfrohe Art nicht verloren hat. Diese Lebenslust ist etwas, was ich sehr bewundere, weil ich das in anderen Ländern, auch in Deutschland, manchmal vermisse.
Meinen Sie damit auch die „libanesische Resilienz“, von der Sie in Ihrem Buch sprechen? In den vergangenen Jahren mussten Sie beinahe täglich über schlechte oder schwierige Ereignisse berichten. Wie ausgeprägt ist diese Resilienz bei Ihnen?
Einen Teil davon trage ich in mir. In meinem Job als Journalistin und Moderatorin muss ich eine gewisse Resilienz haben, das gehört zur Professionalität dazu. Wir sind dazu verdammt, unsere Gefühle nicht zu zeigen – zumindest erwarten das die Zuschauer. Als am 4. August 2020 die Explosionskatastrophe in Beirut passierte, fiel mir das sehr schwer. Das lag auch daran, dass bei einem Teil von meiner Familie nicht klar war, ob sie überlebt hat. In solchen Situationen kann man seine neutrale Mimik kaum wahren. Ich habe zwar nicht geweint, aber diese Nachrichten vorzutragen, war schier unerträglich für mich. Ich war auch schon in Israel, Syrien, dem Iran und anderen Ländern des Nahen Ostens. In Sachen Resilienz gibt es hier viele Gemeinsamkeiten, weil die Menschen in diesen Ländern alle für sich gelernt haben, in diesen Kriegs- und Krisensituationen klarkommen zu müssen. Man weiß zwar, was gestern war, aber man weiß nicht, was morgen ist. Deshalb macht man das Beste aus dem gegenwärtigen Tag.
Können Nachrichten dabei helfen? Sollten sie positiver sein?
Wenn ich an meinen eigenen Instagram-Feed denke, wirkt es sich natürlich positiver auf mein Gemüt aus, wenn ich lese, dass sich irgendein Korallenriff in Australien erholt hat oder Tiere gerettet worden sind. Gerade in diesen Zeiten, würde die ein oder andere positive Nachricht guttun, um ein anderes Verständnis für den Libanon oder andere Länder des Nahen Ostens zu bekommen. Aber ich kenne auch das Business und weiß, dass das schon immer ein Problem war und ist und sehr vieles mit der Aktualität zu tun hat. Das macht es natürlich schwieriger, positive Sachen rauszupicken. Christian Sievers, mein Kollege vom „heute journal“, hat auf diese Frage mal gesagt: „Wir warnen zu viel, aber wir entwarnen nicht genug.“ Das fand ich gut ausgedrückt. Wir alarmieren einerseits, aber wir müssten eigentlich auch die Klammer schließen und sagen, wenn etwas vorbei ist und wie die Welt dann dementsprechend aussieht. In meiner Wahrnehmung läuft das gerade ein wenig so bei der Berichterstattung über Syrien, weil nicht nur berichtet wird, dass Assad gestürzt wurde, sondern auch häufig die Frage gestellt wird, wie es dort jetzt weitergeht.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass sie eine andere Seite des Libanons zeigen möchten als die, die man meist aus den Medien kennt. Wo fängt man da an?
Beim Skifahren im Libanon. Das ist das beste Beispiel, um Menschen, die nicht viel über dieses Land wissen, zu überraschen. Der Libanon hat sehr hohe Berge und ist im Umkreis nur eines von zwei Ländern, neben dem Iran, in dem man vernünftig Skifahren kann. Häufig höre ich auch die Vermutung, dass der gesamte Libanon doch nur eine Wüste sei. Dabei ist es ein sehr grünes Land, Flora und Fauna sind deutlich ausgeprägt. Es gibt auch eine sehr lebensfrohe Partyszene und gut organisierte Clubkultur. Beirut gehört weltweit auf jeden Fall zu den besten Adressen für Partys.
Meine news
Sie haben mit „Les Abbouds eating“ eine Familien-Whats-App-Gruppe, in der quasi nur übers Essen geschrieben wird. Ist das Essen – neben Ihrer Familie – Ihre größte Sehnsucht, wenn Sie an den Libanon denken?
Ja. Essen spielt eine sehr wichtige Rolle und bedeutet nicht nur Kalorienzufuhr, sondern vor allem auch Zusammensitzen mit der Familie und Geborgenheit. Wenn ich mich daran erinnere, wie es früher war, als ich noch jünger war, war es immer so, dass, wenn wir in den Libanon gefahren sind, sich nach der Ankunft erstmal alle an einen großen Tisch gesetzt haben und es etwas zu essen gab. Dann gab es Speisen wie selbstgemachte Pommes von meiner Oma oder Taboulé, ein Petersilien-Salat. Am besten fand ich es immer, wenn mein Onkel vom Angeln einen riesigen Fisch mitgebracht hat, von dem gefühlt zehn Leute aßen. Wenn du aus Deutschland kommst und so etwas nicht kennst, dann ist das ein kompletter Kontrast.
In Ihrer allerletzten „Tagesthemen“-Sendung standen Sie an der Seite von Constantin Schreiber, der früher einige Jahre als Reporter in Beirut tätig war und inzwischen auch Weine aus dem Libanon vertreibt. Konnten Sie sich mit ihm über Land, Leute und Esskultur austauschen?
Immer wenn wir uns gesehen haben, haben wir uns auf arabisch begrüßt, unsere Späßchen gemacht und uns sehr oft ausgetauscht. Ich trinke eigentlich keinen Alkohol mehr, aber libanesische Weine sind eine Klasse für sich. Im Libanon gibt es mittlerweile viele kleine, unabhängige Winzereien, die schon einige Preise gewonnen haben, was ich sehr schön finde. Wenn ich etwas verschenken würde, wären es bei mir wohl eher Gewürze.
Zur Person
Aline Abboud wurde 1988 in Ost-Berlin als Tochter einer Deutschen und eines Libanesen geboren. Sie verbrachte von klein auf die Sommerferien bei ihren Großeltern im Libanon.
Nach ihrem Arabistik-Studium und einem Volontariat im Bundestag arbeitete sie unter anderem in der Nachrichtenredaktion von „heute“ beim ZDF.
Von September 2021 bis Januar 2024 präsentierte sie die „Tagesthemen“ im Ersten. Abboud ist Mutter eines Kindes und lebt mit ihrer Familie in Berlin.
Welche Gewürze kommen Ihnen in den Sinn?
Besonders Sumach, das ist ein leicht-säuerliches, frisches rötliches Gewürz, das aus den getrockneten und gemahlenen Beeren des Färberbaums gewonnen wird, mit dem im Libanon fast jede Speise gewürzt wird, insbesondere Eierspeisen. Das kaufe ich gerne frisch gemahlen im Libanon und verschenke es an Freunde in Deutschland. Eins der wichtigsten Gewürze ist aber zudem Zimt. Wenn man Zimt an Fleischgerichte gibt, hebt es den Geschmack nochmal in ganz andere Sphären.
Wie denken die Menschen im Libanon eigentlich über Deutschland?
Grundsätzlich hat Deutschland schon immer einen sehr guten Ruf im Libanon gehabt, eigentlich in der gesamten arabischen Welt. Wenn man im Libanon in Kaufhallen geht und irgendeine Haushaltsware kaufen möchte, steht gefühlt auf jedem Handmixer oder Wasserkocher „Made in Germany“. Ich glaube nicht mal, dass das wirklich echt ist, aber das soll für die gute Qualität und für die Zuverlässigkeit, für die wir in Deutschland bekannt sind, stehen. Ich habe mal ein Praktikum an einer deutsch-libanesischen Universität im Libanon gemacht. In meinem Praktikumszeugnis wurde fast schon überbetont, dass ich äußerst pünktlich war, weil es im Libanon eher unüblich ist. Das ist ein anderes Beispiel dafür, was Libanesen an uns Deutschen schätzen.
Mit Judith Rakers, Pinar Atalay, Linda Zervakis und Caren Miosga haben in den vergangenen Monaten und Jahren einige „Tagesthemen“-Moderatorinnen und „Tagesschau“-Sprecherinnen die „Tagesschau“ verlassen. Sie werden nach der Elternzeit nicht zurückkehren und haben ebenfalls Ihren Abschied angekündigt. Wieso trifft das sogenannte Job-Hopping, bei dem man nicht mehr seine gesamte berufliche Karriere in einem Unternehmen verbringt, auch bei der „Tagesschau“ zu?
Wir hatten sicherlich nicht alle dasselbe Motiv und ob das speziell mit der „Tagesschau“ oder den „Tagesthemen“ zusammenhängt, kann ich nicht beurteilen. Ich möchte nur für mich sprechen. Ich gehöre wohl zu der Generation der Millennials, die beruflich Lust auf Abwechslung hat, neue Herausforderungen sucht und nicht mehr die Absicht verfolgt, ihr gesamtes Arbeitsleben in einem einzigen Unternehmen zu verbringen. Mein Weg in die Medienbranche war ohnehin recht unkonventionell. Ich habe Arabistik studiert, danach im Bundestag volontiert und bin über Umwege zunächst zum ZDF und später dann zur ARD gekommen. Ich habe einfach Lust, noch andere Dinge auszuprobieren und gleichzeitig habe ich meine familiäre Situation im Blick.
Ihre Work-Life-Balance ist Ihnen wichtig.
Ich möchte mich natürlich nicht in einen Burnout hineinarbeiten und ein gutes Gleichgewicht zwischen Beruf und Familie finden. In meinem Buch geht es auch viel um die Familie und die Wertschätzung dafür. Das ist auch etwas, was sicherlich die Fähigkeit zur Resilienz erhöhen kann.
Judith Rakers betreibt Homefarming, Linda Zervakis hat vor einiger Zeit ein altes Bauernhaus gekauft und renoviert. Etwas mit den Händen in der Natur zu machen, ist das eine Sache, die auch Ihnen liegt?
Ich bin neidisch auf Judith, weil sie diesen tollen Garten hat. Ich würde auch gerne jeden Tag in meinem Garten sitzen, ich habe solch einen Garten aber noch nicht. Ich bin auch jemand, der gerne etwas mit den Händen macht, zum Beispiel Klavierspielen. Ich male und bastele gerne, ich habe ganz klassische Hobbys. Ich bin gerne in der Natur und mag es, mit Tieren unterwegs zu sein. Das ist mein Ausgleich zu all den schrecklichen Nachrichten, die man präsentiert.
Welche Nachricht über den Libanon würden Sie gerne eines Tages verkünden?
Der Libanon hat die Wirtschaftskrise überwunden, die Menschen haben ihr hart erspartes Geld zurückbekommen, die alte Regierung darf nicht mehr antreten, die Skipisten sind eröffnet, es ist aber auch Frühling und alle Menschen springen ins Wasser und freuen sich ihres Lebens im wunderschönen Libanon.